Promotionsprojekte

Holger Lübbe
Wie lässt sich kulturelle Bildung messen?

Kulturelle Bildung hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Durch die mit dem "PISA-Schock" ausgelöste Reformwelle ist der Gedanke in das formale Bildungssystem geflossen. Maßnahmen zur kulturellen Bildung werden mit umfangreichen Mitteln gefördert. Entsprechend hat sich auch das wissenschaftliche Interesse an der Thematik gesteigert. Wie kulturelle Bildung empirisch gemessen werden kann, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Die Dissertation leistet dazu einen Beitrag. Im Rahmen einer im Jahr 2018 durchgeführten Bevölkerungsumfrage wird im Projekt "Kulturelle Bildung und Kulturpartizipation in Deutschland" am Beispiel der Sparten Bildende Kunst und Musik ein Instrument zur Erfassung kultureller Bildung theoretisch entwickelt und empirisch geprüft. Es orientiert sich an den Anforderungen der Kompetenzmessung, wie sie den PISA-Studien zu Grunde liegen, ohne den Anspruch zu erheben, das Konzept der kulturellen Bildung in allen Facetten abzubilden. Die Zielsetzung ist vielmehr auf die praktische Anwendung als Konzept für die Erklärung individueller Unterschiede in der Kulturrezeption in einzelnen Sparten gerichtet. Der Fokus auf Kompetenzen hat zwei Gründe. Zum einen sind Kompetenzen als zentrale Ergebnisse von Bildungsprozessen theoretisch und bildungspolitisch von besonderem Interesse. In bisherigen Studien liegt der Fokus meist allein auf den Input- und Kontextvariablen, etwa Orten und Gelegenheiten des Erwerbs kultureller Bildung, nicht jedoch auf den Outputs dieser Prozesse. Zum anderen knüpft sich an das Kompetenzkonzept das Interesse direkter Wirkungsnachweise. So werden im Diskurs um kulturelle Bildung eine Vielzahl an Heilsversprechen geäußert, zu denen es bisher kaum substanzielle empirische Antworten gibt. Unter Rückgriff auf Bourdieus Konzepte des Habitus und des inkorporierten Kulturkapitals versucht die Dissertation kultursoziologisch den Aneignungsweisen und Wirkungsmechanismen kultureller Bildung nachzugehen. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Theoretisch wird zunächst ein Kompetenzmodell entwickelt. Hierzu wird der interdisziplinäre Diskurs um kulturelle Bildung auf zentrale Konzepte, Ideen und Inhalte sowie auf bisherige Operationalisierungen untersucht. Empirisch wird sodann eine Kompetenzindikatorik entwickelt, intern entlang methodischer Gütekriterien validiert und extern im Hinblick auf seine empirische Erklärungskraft überprüft.

Projektbearbeitung: Holger Lübbe, M.A.
Projektbetreuung: Prof. Dr. Gunnar Otte
Projektdauer: 2016 - 2023
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

 

Joschka Baum
Computerspiele als Kulturgut?

Im Anschluss an Pierre Bourdieu hat sich in der Soziologie in den letzten Jahrzehnten ein Forschungsfeld zur Erklärung des sozial bedingten Geschmacks in verschiedenen künstlerischen Feldern entwickelt. Die Dissertation prüft, inwieweit die hier etablierten Konzepte und Theorien für den Bereich der Computerspiele Geltung beanspruchen können. Als Ausgangspunkt dient die Überlegung, dass Computerspiele ein hybrides Medium mit ludischen, stilistischen und narrativen Inhalten darstellen. Durch das Spannungsfeld zwischen Spiel und Ästhetik unterscheiden sie sich maßgeblich von anderen Kulturgütern. Um diese Aspekte breit zu untersuchen, werden zwei Datenquellen kombiniert. Nutzergenerierte Verschlagwortungssysteme einer Internetplattform für Videospiele werden genutzt, um herauszuarbeiten, entlang welcher Dimensionen Videospiele von Marktakteuren kategorisiert werden und welche Profilbildungen bei Entwicklern und Publishern erkennbar sind. Diese angebotsbezogenen Daten werden mit Informationen zum Computerspielverhalten aus der Bevölkerungsumfrage „Kulturelle Bildung und Kulturpartizipation in Deutschland II“ verknüpft. Untersuchen lässt sich damit, wie individuelle Computerspielpräferenzen zustande kommen und inwieweit sie mit dem Geschmack in anderen Sparten wie Musik und Film zusammenhängen. Auch die Rezeption von Computerspielen wird untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Relevanz der kulturellen Eigenschaften von Spielen, also der subjektiven Relevanz der Geschichte, der Musik und der visuellen Darstellung für die Spieler.

Projektbearbeitung: Joschka Baum, M.A.
Projektbetreuung: Prof. Dr. Gunnar Otte
Projektdauer: 2020 - 2023
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

 

Katharina Kunißen
The Independent Variable Problem. Welfare Stateness as an Explanatory Concept

When examining the extent to which welfare state policies are responsible for different outcomes for individuals in different countries, an empirical operationalisation of the welfare state or of specific elements of social policy-making is required. Substantial problems arise concerning prevalent operationalisation practices. Essentially, these problems all relate to one key issue: While there is a great number of contributions addressing the measurement of differences between welfare states per se and as a dependent variable, there is a distinct lack of feasible recommendations when it comes to the operationalisation of welfare stateness as an independent variable. In light of the great number of studies assuming an effect of welfare policies on social phenomena, the lack of standardised proceedings surprises. Instead of following a comparable and somewhat formalised approach, scholars implement very different operationalisations.

To this date, there is no systematic test of how such varying proceedings may affect results and their comparability. Similarly, a detailed conceptual discussion on which features of the welfare state are relevant for the explanation of specific outcomes is missing. This contribution fills both gaps. First, it unravels the pitfalls of existing approaches and demonstrates how strongly empirical results vary depending on the chosen operationalisation. Second, it proposes a way to standardise proceedings by deducing four distinct conceptualisations of welfare stateness as independent variables: The Responsive Welfare State, the Enabling Welfare State, the Normative Welfare State and the Assessed Welfare State. As a result, the operational choices are limited in a theoretically meaningful way to indicators that correspond to these conceptualisations. In an empirical test, the systematised concepts proved to be useful in overcoming the “independent variable problem”: they narrow down relevant facets of welfare stateness and their functions and thus serve as guidelines for the theoretical derivation of relevant analytical perspectives, their empirical operationalisation and the interpretation of results.

Projektbearbeitung: Katharina Kunißen, M.A.
Projektbetreuung: Prof. Dr. Gunnar Otte
Projektdauer: 2015 - 2021

Wichtigste Publikationen:

Kunißen, Katharina (2019): The Independent Variable Problem. Welfare Stateness as an Explanatory Concept. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Dissertation).

Kunißen, Katharina (2019): From Dependent to Independent Variable: A Critical Assessment of Operationalisations of ‘Welfare Stateness’ as Macro-Level Indicators in Multilevel Analyses. Social Indicators Research 142 (2): 597-616. DOI: https://doi.org/10.1007/s11205-018-1930-3  → Full text (read only)

 

Mara Boehle
Ursachen und Wandel familialer Armut in Deutschland, 1962 bis 2009.
Eine theoretische und empirische Analyse

Familien − obwohl laut Grundgesetz „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ stehend − stellten bereits in den 1970er Jahren eine zentrale Risikogruppe der Armut dar. Seither ist der Anteil einkommensarmer Familien nahezu kontinuierlich angestiegen und verfestigt sich seit einigen Jahren auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Obwohl die Erklärung solcher Prozesse zu den zentralen Aufgaben der Soziologie zählt, fehlt es bislang an systematischen Erklärungsversuchen und empirischen Analysen dieses Phänomens. Das (Dissertations-)Projekt hat zum Ziel, die Gründe für den Anstieg familialer Armut systematisch zu untersuchen. Dieses erfolgt unter Zugrundelegung eines theoretischen und empirischen Mehrebenenmodells, das das Einkommensarmutsrisiko von Familien, d.h. von Haushalten mit Kindern, als Funktion haushaltsbezogener (Mikro) und zeitabhängiger struktureller Faktoren (Makro) begreift. Zentrale Anknüpfungspunkte auf der Makroebene sind die ökonomischen, haushaltsdemografischen und politisch-institutionellen Wandlungsprozesse seit den 1970er Jahren − wie zunehmende Arbeitsmarktrisiken, der quantitative Anstieg seit jeher armutsgefährdeter Alleinerziehender, die Zunahme gut verdienender kinderloser Paarhaushalte und die Umgestaltungen familienpolitischer Leistungen. Die Hypothesen des Projekts werden auf Basis von um Makroindikatoren angereicherte Mikrozensusdaten überprüft, die für die Beantwortung der Forschungsfrage gut gerüstet, bislang aber noch ungenutzt sind.

Bisherige Ergebnisse der Studie zeigen, dass es weniger am Vorhandensein von Kindern als solches liegt, dass die relative Armut von Familienhaushalten seit den 1970er Jahren häufiger geworden ist, sondern der Anstieg vor allem auf die sich seit diesem Zeitpunkt polarisierende Komposition familialer und kinderloser Haushalte zurückgeht. Der Anstieg kinderloser Doppelverdienerhaushalte hat zudem dazu geführt, dass eine hohe Erwerbsintensität zur Armutsvermeidung wichtiger geworden ist, die jedoch gerade in Familienhaus-halten selten vorkommt und über die Zeit auch nicht angestiegen ist. Familienpolitische Leistungen, wie die erst seit einigen Jahren in Westdeutschland ausgebaute öffentliche Kinderbetreuung für unter 3-Jährige sowie das Kindergeld erweisen sich dabei auch als sozialpolitisch wirksam: Sie weisen deutlich armuts-reduzierende Effekte für Einelternfamilien auf, die seit den 1970er Jahren einen immer größeren Bereich des Familiensektors und eine immer zentralere Armutsrisikogruppe bilden.

Projektbearbeitung: Mara Boehle, M.A.
Projektbetreuung: Prof. Dr. Christof Wolf (GESIS und Universität Mannheim) und Prof. Dr. Peter A. Berger (Universität Rostock)
Projektdauer: 2011 - 2015
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Wichtigste Publikationen

Boehle, Mara (2019): Armut von Familien im sozialen Wandel: Verbreitung, Struktur, Erklärungen. Wiesbaden: Springer VS

Boehle, Mara (2015): Armutsmessung mit dem Mikrozensus: Methodische Aspekte und Umsetzung für Querschnitts- und Trendanalysen. GESIS Papers 2015/16. Köln: GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.
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Boehle, Mara und Wolfgang Voges (2013): Die Entwicklung familialer Armut im Kontext sozialstrukturellen Wandels, 1962 bis 2009. ZeS-Report Vol. 18, No. 2. Bremen: Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen.
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Boehle, Mara und Christof Wolf (2012): Understanding time as socio-historical context: Analyzing social change within the framework of multilevel analysis. GK SOCLIFE Working Paper Series 14/2012. Köln: Research Training Group, Universität Köln.
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